Heimat Thüringen Heft 3/2023, Ausgabe zum Tag des offenen Denkmals® unter dem Motto "Talent Monument"

Am 30.08.2023 erschien die Zeitschrift Heimat Thüringen zum Tag des offenen Denkmals® unter dem Motto "Talent Monument"

Das Haus Am Horn als Keimzelle der Wohnkultur

von Dr. Ulrike Lorenz

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Liebe Leserinnen und Leser,

Junge Denkmal-Talente stehen 2023 im Rampenlicht. Bauten der Moderne, Nachkriegsmoderneund Postmoderne sind wichtige historische Architekturmonumente, oft sind sie dabei kaum 50 Jahre alt. Die Veränderungen des 20. Jahrhunderts haben, nicht nur in Deutschland, architektonische Spuren hinterlassen – von gesellschaftlichen Umbrüchen über politische Krisen bis zu einem furchtbaren Krieg.

Ein Pionierprojekt der Moderne wird 100 Jahre: Das Haus Am Horn ist die einzige Architektur, die das Bauhaus in Weimar realisiert hat. Es wurde 1923 als Versuchshaus zur Bauhaus-Ausstellung errichtet – hier präsentierten die Meister*innen und Schüler*innen erstmals, wie sie sich zeitgemäßes Bauen und Wohnen vorstellten. Das Haus Am Horn gehört zum UNESCO-Welterbe »Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau«. Im Jahr 2021 wurde seine beispielhafte Restaurierung durch die Klassik Stiftung Weimar mit dem Europäischen Kulturerbepreis/Europa Nostra Award ausgezeichnet. Als Keimzelle der Wohnkultur inspirierte das Haus nicht nur die Nachkriegsmoderne, sondern beeinflusst bis heute die Architekturtrends in unseren Städten.

Zum Geburtstag des Hauses Am Horn widmen wir, die Klassik Stiftung Weimar, unser Jahresprogramm 2023 dem Thema Wohnen. Ausgehend von der Frage »Wie werden wir wohnen?«, die das Staatliche Bauhaus Weimar ins Zentrum seines Wirkens stellte, richtet sich der Blick auf das einzigartige Ensemble historischer Wohnhäuser in Weimar: Von der Residenzkultur in den Schlössern über Dichter- und Künstlerhäuser aus der Zeit um 1800 bis hin zu den avantgardistischen Bauten des belgischen Architekten Henry van de Velde und des Bauhaus-Meisters Georg Muche.

»Die brennendste Frage des Tages überhaupt: … Wie werden wir wohnen, wie werden wir siedeln, welche Form des Gemeinwesens wollen wir erstreben?« Staatliches Bauhaus Weimar, 1924

Ähnlich wie Goethes Gartenhaus – nur eben in ganz anderer Form – entwickelte sich das Haus Am Horn zu einer Art Prototyp des deutschen Einfamilienhauses: Das Gartenhaus mit Walmdach diente dem Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts und später den Nationalsozialisten als Urbild eines »deutschen Hauses«, das sich pilzartig in ganz Deutschland ausbreitete. Das Haus am Horn hingegen wurde sofort als »Bonbonschachtel« und »Haus für Marsbewohner« denunziert und geriet im Zuge der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs in Vergessenheit, bevor seine moderne Gestalt beginnend in den 1960er Jahren einen weltweiten Siegeszug antrat. 1973 wurde das Haus Am Horn zum Baudenkmal erklärt. Bis heute besiedeln weiße Flachdach-Adaptionen des Klassikers die Speckgürtel um Großstädte in aller Welt.

Beide Häuser, Goethes Gartenhaus und das Haus Am Horn, markieren entgegengesetzte Pole der Wohnkultur in der Weimarer Republik bis heute und den damit verbundenen Lebensstilen. Sie dienen als Sehnsuchtsmodelle für ein Leben unter eigenem Dach im Grünen zum Gärtnern und Entspannen. Doch das Modell des Eigenheims steht zur Disposition: Zu teuer, zu ineffektiv, zu viel Energie- und Flächenbedarf.

Der Traum vom Einfamilienhaus ist ausgeträumt.

Das Haus Am Horn für die moderne Kleinfamilie im Industriezeitalter ist heute keine zukunftsweisende Antwort mehr. Doch prägt diese Bauhaus-Utopie unsere zersiedelte Umwelt munter weiter. Die sozialen Debatten um das gesellschaftliche Miteinander, der Kampf um Raum, Grund und Obdach hingegen sind aktueller denn je. Geführt wurden sie schon zur Goethezeit, als sich bürgerliche Wohnkultur an europäischen Moden auszurichten begann und die Kernfamilie aus dem Mehrgenerationenhaus verabschiedete. Wohnen wurde damals auch jenseits des Adels zu einer Frage der Repräsentation.

Im Zuge der Industrialisierung setzte im 19. Jahrhundert eine rasante Landflucht ein; in wuchernden Großstädten und prekären Wohnverhältnissen rang die Arbeiterschaft um Raum und Würde. In den 1920er Jahren wurde das Bauhaus mit seinem sozialutopischen gestalterischen Ansatz zur Ideenschmiede für eine neue Kultur des gesunden Wohnens und individuellen Lebens.

Das Bauhaus brach 1919 in Weimar auf, um mit visionären Ideen zur Gestaltung einer menschlicheren Gesellschaft beizutragen. Wohnen und Siedeln gehörten für die Architektur- und Design-Pioniere zu den brennendsten Fragen ihrer Epoche.

Auch aktuelle Zukunftsüberlegungen zum Wohnen gehen weit über formal-architektonische Visionen hinaus. Sie zielen auf sozial gerechte, ökologisch nachhaltige Lebensräume, die ein gemeinschaftlich-demokratisches Miteinander fördern. Neue Utopien und verantwortungsbewusstes Handeln im Kleinen wie im Großen werden benötigt, um eine lebenswerte Zukunft in friedlicher Koexistenz von Menschen und Nationen mit Flora und Fauna auf unserem Planeten zu entwickeln. Das Utopie-Potenzial des historischen Bauhauses kann uns inspirieren, unser Zusammenleben im 21. Jahrhundert neu zu denken und zu gestalten.

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