Kulturlandschaft vermitteln und erleben
Editorial
von Hans-Joachim Petzold
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Gros der Beiträge dieses Heftes behandelt die Thüringer Kulturlandschaft. Bebauung, Bearbeitung und damit Veränderung von Landschaft stellen ein Kontinuum menschlicher Handlungen dar. Für den Heimatbund Thüringen ist die Erforschung von Landschaftsgeschichte und Landschaftsentwicklung in Vergangenheit und Gegenwart sowie deren Vermittlung erklärtes Ziel. Über die 30 Jahre des Vereinsbestehens hinweg ist das Thema ein Dauerbrenner geworden.
In den Ausbildungskursen für Zertifizierte Natur- und Landschaftsführerinnen und -führer steht der Umgang mit historischen Karten der Region auf dem Lehrplan. Dabei machen die Teilnehmer ebenso wie viele Regionalgeschichtsforscher oft überraschende Entdeckungen. Sie stoßen auf vergessene Flurnamen, verschwundene Wege, ehemalige Gewässerstandorte, offene Steinbrüche oder Bauwerke, die heute nicht mehr existieren. Die Karten regen zum Vergleich früherer Siedlungsbilder mit den heutigen an und führen zum Verständnis von Landschaftsentwicklung. Hans-Heinrich Meyer zeigt in seinem Beitrag »Historische Topographische Karten als Arbeitshilfe für die Kulturlandschaftsforschung« auf, welche relevanten Kartengrundlagen es für Thüringen gibt, wer ihre Erstellung beauftragte und wie die jeweilige Qualität und Aussagekraft einzuschätzen ist. Viele dieser Karten tragen klangvolle oder einprägsame Namen.
Es gibt die »Blaufußkarte«, die Müffling’sche Eilaufnahme«, die »Sächsischen Meilenblätter« oder die »Preußischen Urmessischblätter«. Auf diesen Karten finden sich vielfältige Informationen über Landschaftsgeschichte und Flurnamen. Sie erhellen die Landschafts- und Umweltzustände ihrer Entstehungszeit. Weil das Land Thüringen immer mehr dieser Kartenwerke auch im Geoportal Thüringen frei zugänglich macht, können Nutzer heute komfortabel vom Schreibtisch aus forschen und entdecken.
Den Wegen und dem Unterwegssein von der Vergangenheit bis in die Zukunft widmet sich ein anderer Beitrag. Warum waren und sind Menschen mobil? Was treibt sie an und um? Und welche Geschichten haben sie dabei zwangsläufig den Wegen, die sie anlegten, eingeschrieben?
Moderne Verkehrswege sind auf Geschwindigkeit orientiert und streng normiert angelegt. Sie haben ein Planfeststellungsverfahren durchlaufen, aber sie haben keine spezielle Geschichte. Alte Pfade, Wege, Triften und Straßen hingegen können uns heute noch Interessantes offenbaren. Sie können, vor allem beim Gehen, beim Wandern oder beim Radfahren deutlich mehr sein als nur ein Mittel, um von A nach B zu gelangen. Mit Wegegeschichten im geistigen Gepäck entfaltet Unterwegssein neue Qualitäten, sei es für diejenigen, die andere über solche Wege führen, sei es für diejenigen, die sich gern von den Wege- und Geschichtskundigen führen und verführen lassen.
Wie bereits im Heft 1-2/2023 angekündigt, wird uns die Frage, welche Teile Thüringens als Terrassenland(schaften) bezeichnet werden können, weiter beschäftigen. Die Ergebnisse einer Pilotstudie der Forschungsgruppe Kulturlandschaft an der Fachhochschule Erfurt aus dem Jahr 2022 haben Ilke Marschall und Hans-Heinrich Meyer für dieses Heft komprimiert zusammengefasst. Zu verweisen ist hierbei auch auf das Kulturlandschaftsportal Thüringen, wo neben dieser Studie auch eine exzellente Bildergalerie typischer Terrassenlandschaften zu bestaunen ist. Terrassierte Landschaften mögen auf den ersten Blick rein historischen Wert haben. Möglichweise hat das Prinzip der Landschaftsterrasse aber auch Zukunft: für die Wasserrückhaltung in Hanggebieten, für den Obstbau, für flächensparendes Bauen mittels Wohnanlagen in Terrassenform oder für Zwecke, die man heute vielleicht noch nicht sieht.
Schließlich sei noch auf zwei Beiträge von Gebietsbetreuerinnen am Nationalen Naturmonument Grünes Band Thüringen hingewiesen. Die Autorinnen, beide auch Zertifizierte Natur- und Landschaftsführerinnen, engagieren sich beruflich wie privat für die Vermittlung der Geschichte der innerdeutschen Grenze und Entdeckungen in besonders schönen Landschaften am Grünen Band.
Viel Entdeckerfreude auf alten und neuen
Wegen wünscht
Hans-Joachim Petzold