Heimat Thüringen Heft 2-3/2021 zum Tag des offenen Denkmals

Am 03.09.2021 erscheint die Zeitschrift Heimat Thüringen zum Tag des offenen Denkmals mit dem Motto "Sein & Schein - in Geschichte, Architektur und Denkmalpflege"

 

Sein und Schein

von Dr. Sven Ostritz, Präsident des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie

 

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Sein und Schein sind seit jeher nicht nur antithetische Begriffspaare der Denkmalpflege, sondern des menschlichen Denkens überhaupt und haben seit Jahrhunderten philosophischen Diskussionsstoff geliefert (Sein und Bewusstsein, Sein und Zuhandensein, Begriff und Ding usw.usf.). Insofern sind Sein und Schein am oder im
Denkmal auch Zeugnisse dieses Diskurses im Laufe der Zeiten.
Dabei ist der Wunsch, etwas durch seine äußere Erscheinung anders erscheinen zu lassen, als es dem tatsächlichen Inhalt entspricht, keineswegs eine Erfindung der Neuzeit. Schon von altsteinzeitlichen Höhlenbildern kennen wir Darstellungen von Menschen, die sich als Tiere verkleidet haben, um dem Jagdglück nachzuhelfen. In der Jungsteinzeit wurde in Mitteleuropa schwer zu beschaffender Schmuck aus Mittelmeermuscheln in Kalkstein nachempfunden etc.
Aber nicht immer steckt hinter solchen Imitationen eine mehr oder weniger »betrügerische« Absicht. Tanz- und Ritualmasken sollten zumeist niemanden täuschen, sondern Gutes bewirken. In der ältesten Jungsteinzeit wurden häufig Behältnisse aus gebranntem Ton gefertigt, die deutlich erkennen lassen, dass ihre Vorbilder aus organischem Material gefertigt wurden – Rindengefäße, Tierblasen oder Lederschläuche.
Hier ging es zuerst darum, die entsprechende Funktion in anderem Material zu realisieren, bevor sich neue eigenständige, materialgerechte Formen herausbilden konnten. Dieses Phänomen zieht sich durch alle Zeiten bis heute. Der Steinbau vollzog zunächst die älteren Holz- oder Lehmbauten nach, bevor er spezifische Formen wie das echte Gewölbe ausbildete. Nicht anders verhielt es sich mit den Anfängen noch modernerer Baustoffe wie Beton, Stahl, Glas und Kunststoff.
Den Zeugnissen dieser Entwicklungen und des darin dokumentierten menschlichen Schöpfergeistes in unseren Denkmalen nachzuspüren, ist ein Schwerpunkt des diesjährigen Tages des offenen Denkmals.
Ein anderer, kontrovers diskutierter Aspekt der Denkmalpflege ist der Umstand, dass jede Restaurierung einen »in der Substanz« nicht mehr vorhandenen Zustand wiederherstellt, im Gegensatz zur Konservierung, die lediglich dem Erhalt der noch vorhandenen Substanz dient. Ist also letztere darum die »bessere« Denkmalpflege? Zum einen ist es natürlich so, dass ein Kulturdenkmal mit allen Spuren der Zeiten, die es »durchlebt« hat, Zeugnis eben davon ablegt, was es für uns wertvoll macht.
Andererseits kann dieser Zeugniswert aber auch gerade im Erscheinungsbild liegen, der den Gestaltungswillen seines Schöpfers dokumentiert. Wenn wir in einem Gartendenkmal die abgestorbenen Gewächse nicht nachpflanzen, geht auch der Zeugniswert für den ursprünglichen gestalterischen Willen des Gärtners verloren.
Nicht selten dient auch die Wiederherstellung unrettbar vergangener Teile eines Kulturdenkmals (und damit eines real nicht mehr vorhandenen Erscheinungsbildes) der Erhaltung der noch vorhandenen Substanz. Wenn das Dach eines denkmalgeschützten Gebäudes nicht repariert oder von Zeit zu Zeit sogar gänzlich erneuert wird, wird auch das restliche Haus über kurz oder lang dem Verfall preisgegeben sein.
Letztlich spielt auch die Funktion eine Rolle. Viele Kulturdenkmale haben neben ihrem Zeugniswert ja auch einen Nutzwert – der im Zweifelsfalle sogar in ihrem »Schmuckwert« bestehen kann. Nicht immer kann man neben die denkmalgeschützte Brücke mit ihrem historischen Erscheinungsbild eine neue setzen, die deren Funktion übernimmt(letztlich wird ja auch dadurch die ursprüngliche Erscheinung der alten Brücke in der Landschaft beeinträchtigt).
Die Kunst der Denkmalpflege liegt also nicht in einem »Substanzfetischismus«, sondern in der klugen Abwägung zwischen der Erhaltung von Substanz und Erscheinungsbild, eben von Sein und Schein.
Wie sich diese Aspekte von den Anfängen der Denkmalpflege im 19. Jh. bis heute entwickelt haben, kann man gut nachvollziehen, wenn man die im 19. Jh. nach den seinerzeit geltenden Prämissen »restaurierte« (und damit gerettete) Wartburg mit der alten Synagoge in Erfurt vergleicht, die heutiges Herangehen in der Denkmalpflege repräsentiert.
Es lohnt sich darum, dem Sein und Schein am Denkmal und in unserem Leben einmal nachzuspüren. Vielleicht ergibt sich daraus die eine oder andere nachhaltige Erkenntnis. In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen erlebnis- und lehrreichen Tag des offenen Denkmals®!

 

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