Das »Haus der Frau von Stein« darf nicht zum Bodendenkmal werden
von Christel Nehring, Lutz Krause und Volker Wahl
»Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte« stehen 2024 zum »Tag des offenen Denkmals« der Stiftung Denkmalschutz im Rampenlicht. Nicht wenige Denkmale in Thüringen waren »Wahr-Zeichen. Zeitzeugen der Geschichte« und sind heute nur noch als verschwundene Denkmale registriert. Ein solches Schicksal könnte auch einem Solitär des klassischen Weimars, dem »Haus der Frau von Stein« drohen, das sich inzwischen in Privathand befindet, denn seine Zukunft ist ungewiss.
Doch es regt sich in der Stadtgesellschaft Wider stand. Privatpersonen, Vereine, auch Politiker sorgen sich um das Haus, welches mit der kulturhistorischen Entwicklung Weimars enger verbunden ist, als es sein derzeitiges Dasein vermuten lässt. Damit es auch im 21. Jahrhundert ein »wahres Zeichen« für Weimar, ein im Stadtbild erlebbares Denkmal bleibt, bedarf es neben Aktionen des Protestes auch der Aufklärung zu diesem ehrwürdigen »Haus der Frau von Stein«.
Das nunmehr 250 Jahre alte historische Gebäude an der Ackerwand wurde von 1770 bis 1773 an der Stelle eines ehemaligen Vorwerks nach barocken Formprinzipien als Husarenstall errichtet. 1776/77 wurde zusätzlich das Obergeschoss zu Wohnzwecken ausgebaut. In den östlichen Kopfbau zog die Familie des Oberstallmeisters von Stein ein, dessen Ehefrau, der Hofdame Charlotte von Stein, der junge Goethe sehr zugetan war. Sie lebte bis zu ihrem Tod 1827 in diesem herrschaftlichen Haus, empfing hier viele Freunde und hatte überhaupt großen Anteil am gesellschaftlichen Leben in der Residenzstadt. So haftete später ihr Name an diesem Haus, das sie nie besessen hat. Aber durch die Veröffentlichungen über Goethes Leben und dessen Verbindung zu ihr wurde dieses Haus nachmals als »Haus der Frau von Stein« berühmt und ist es bis heute.
Der Husarenpferdestall wurde 1795 aus dem Erdgeschoss herausgenommen und in einen Neubau an der Ackerwand verlegt. 1804 veranlasste die in die herzogliche Familie eingeheiratete russische Großfürstin Maria Pawlowna, dass darin eine Kirche für die russische Gemeinde in Weimar entstand, die hier als Russisch-Griechische Kirche noch bis vor dem Ersten Weltkrieg existierte.
Im 20. Jahrhundert bahnte sich dann der Wechsel an, als in dem großen Haus – vor allem im östlichen Kopfbau – dauerhaft Mietwohnungen eingerichtet wurden. Im westlichen Kopfbau etablierte sich hingegen eine Pension, zunächst als Fremdenheim bezeichnet, die sehr beliebt war. Die Gäste schätzten das klassische Fluidum der näheren Umgebung, die Nähe zum Ilmpark und zu den klassischen Stätten in der Innenstadt. Dort sind auch namhafte Pensionsgäste bekannt geworden, wie der Bauhausmeister Lothar Schreyer, der sich von 1921 bis 1923 hier dauerhaft eingemietet hatte. Auch der Name der späteren Schauspielerin Marlene Dietrich, die hier von August bis Oktober 1921 als Pensionsgast wohnte, wirft ein glänzendes Licht auf diese Pension und auf dieses historische Haus in Weimar.
Die Wende kam seit den 1990er Jahren, als das »Haus der Frau von Stein« in den Besitz der Stadt überging. Es wurde leergezogen, im Sockelbereich saniert und auch neu eingedeckt. Aber eine sinnvolle Nutzung kam dauerhaft nicht zustande. Seit dem 8. Mai 1996 war darin über ein Jahrzehnt das erste »Goethe-Inlands-Institut« in den neuen Bundesländern untergebracht. Die Stadt stellte das Haus mietfrei zur Verfügung, das Land Thüringen finanzierte dessen Umbau. Doch das »Auswärtige Amt«, das die deutschen Goethe-Institute im In- und Ausland unterhält, hielt nicht durch und beendete dort dessen Dasein vor dem Verkauf von 2008.
Mit dem Verkauf des »Hauses der Frau von Stein« durch die Stadt an den spanischen Investor Juan Javier Bofill Pellicer sollte seine Zukunft gesichert werden. Allerdings erwiesen sich dessen Zusagen, die den Kauf begleitet und ermöglicht hatten, als nichtig.
Trotz einiger baulicher Aktivitäten bleibt die Gefährdung durch Nichtnutzung bis heute bestehen. Zwar hat der Stadtrat 2020 den Wiedererwerb beschlossen, aber die Gefahr, dass hinter der leidlich intakt erscheinenden Fassade Bauschäden unerkannt zunehmen, ist damit nicht gestoppt. Ein authentisches Zeugnis der Stadtgeschichte ist zum Spielball privater Interessenslagen und langjähriger Rechtsstreitigkeiten geworden. Die Bemühungen um den Rückerwerb sind bisher nicht wirklich vorangekommen.
Um auf die enge Verbindung mit dem Weltkulturerbe-Status hinzuweisen, haben die Galerie »unartig«, der Denkmalverbund Thüringen e.V. und der Förderverein Bauwerkserhaltung e.V. im Herbst 2022 einen stillen Protest am Haus der Frau von Stein durchgeführt. Nachfolgend im Sommer 2023 hat der Denkmalverbund Thüringen e.V. das »Schwarze Schaf der Denkmalpflege« dem heutigen Eigentümer zuerkannt. Die Übergabe dieser »negativen« Trophäe wurde von der Galerie »unartig«, einem privaten, kulturell engagierten Freundeskreis sowie dem Förderverein Bauwerkserhaltung und weiteren aktiven Kritikern des derzeitigen Stillstandes organisiert. Sie alle wollen die Bürger und Besucher wachrütteln, um den substanziellen Verlust des Hauses zu verhindern.
Das öffentliche Verdammnis am 16. Juni 2023, als sich das »Schwarze Schaf der Denkmalpflege« auf den Weg zu dem Eigentümer nach Spanien machte, war vielstimmig, denn unter dem Motto »Das kommt uns alles spanisch vor« traten auch neun historische Persönlichkeiten – vom einstigen Bauunternehmer bis zur letzten Pensionsinhaberin – auf, die in ihrem Empörungsschrei und Verdammungsurteil lauthals Wut und Trauer, Spott und Hohn, Beschämung und Anklage wegen Unfähigkeit und Untätigkeit angesichts des Weimarer Missvergnügens »Haus der Frau von Stein« geäußert haben. Die Galerie »unartig« war für diese historisch-literarische Inszenierung verantwortlich. Die Initiatoren werden weiterhin nicht nachlassen, ihren Unmut in Verbindung mit Forderungen an die Verantwortlichen für die aktuell zu erlebende Misere öffentlich zu machen.